Augen zu und durch

2000 Meilen über das Meer

Posted by andy on Thursday, February 8, 2024

Nein, wir hängen nicht (mehr) in einer Flaute mitten auf dem Atlantik fest, sind auch nicht abgesoffen oder abgetaucht. Soviel sei gleich verraten: Wir sind in der Karibik angekommen und der karibische Spirit hat vom Schreiberling Besitz ergriffen. Rumhängen, Rumbaden und Rumschnorcheln haben das viele Rumsegeln abgelöst. Aber erst einmal noch ein kurzer Bericht unserer Überfahrt:

Als wir ein paar Stunden später als geplant vom Nordostwind durch die Düse zwischen Santo Antao und Sao Vicente aufs offene Meer rausgeschossen werden, ist der Himmel dunkel und leicht bräunlich. Die Sonne setzt sich kaum gegen den Saharastaub in der Luft durch. Und so soll es noch die ganze erste Woche bleiben. Wir haben noch einmal Sichtkontakt mit einem Kreuzfahrtschiff und dann später noch Funkkontakt mit einem österreichischen Boot, der Cara Mia. Danach sehen und hören wir niemanden mehr bis wir drüben ankommen. Wir wollen erstmal etwas Weg Richtung Süden machen, da in der Prognose ein Tief weiter im Norden für Flaute auf der Diretissima-Route sorgen soll. Nur kurz reden wir über Loxodrome und Orthodrome und erinnern uns an vergangene Segeltheorie-Ausbildungen, dann stellen wir die Segel auf Vorwindkurs und fahren mal grob in Richtung drüben. Während jede Oberfläche, die Richtung Osten zeigt von einer hartnäckigen rotbraunen Schicht überzogen wird, segeln wir weiter und weiter und weiter. Der Passatwind bleibt vorerst eher leicht (so 12 bis 20kn) und ändert auch immer wieder ein wenig die Richtung. Mal NNE mal E, sogar manchmal ESE. Wir wechseln zwischen Schmetterling mit ausgebaumter Genua, Raumschotkurs mit Genua und dem Spinnaker hin und her. So aktiv haben wir uns das Rumgesegle hier nicht erwartet. Einmal Segel setzen, dann Autopilot auf Windhold und drei Wochen warten, dann ankommen. So hatten wir das eigentlich gebucht. Der unglaublich dichte Dunst und der Saharastaub, sowie die erstaunlich starke Bewölkung lassen uns auch befürchten, dass wir mehr Strom als erwartet durch die Lichtmaschine erzeugen müssen. Mittelfristig blieb aber unser Energiehaushalt mit den 520W Solarpanelen im Bimini und den 2x100W an der Reling doch stabil und der brave Jockel musste kaum als Kraftwerk herhalten.

Das erwartet grobe Geschaukle in der Kombüse wird durch eine unglaublich stabile Köchin vollkardanisch ausgeglichen. In den ersten Tagen ernähren wir uns noch vom Cachupa, dem superleckeren Eintopf, mit dem wir uns eingedeckt haben, danach gibt es schon sehr bald wieder Fisch: Goldmakrele, das Hühnchen der Meere. Die Netze mit dem frischen Obst und Gemüse leeren sich langsam, aber bis in die zweite Woche hinein gibt es immer wieder mal was Grünes, Rotes oder Gelbes als Beilage.

Den Wachrythmus behalten wir so flexibel bei, wie wir das auch schon auf der Fahrt von den Kanaren auf die Kapverden gehalten haben. Erst Mr. Nachteule bis ca. 1 oder 2 Uhr früh, dann Ms. senile Bettflucht bis um 5 oder 6. Falls jemand grobe Anzeichen von Übermüdung zeigt, werden die Zeiten angepasst. Wer Wache hat, darf auch immer wieder dösen oder kurze Schläfchen halten. Ein Fitness-Timer weckt die Wache zuverlässig alle 30 Minuten, um einen Rundumblick zu machen, die Segelstellung zu prüfen, AIS zu checken und kurz das Radar einzuschalten, um nach Squalls (kleine Regenzellen mit potentiell viel Wind drin) Ausschau zu halten.

In der zweiten Woche nimmt der Wind dann auch endlich etwas zu. Ein paar Tage lang segeln wir ganz passable Etmale und die Woche der Feiern und Feiertage rückt näher. Erst feiert Kira ihren 8. Geburtstag mitten im Atlantik mit Kuchen, Geschenken und allem was dazugehört. Dann feiern wir den Gipfelsieg und letztendlich findet uns das Christkind und beschenkt uns mit einer gewaltigen Goldmakrele. Der Tiefkühler wird gefüllt und die große Angel bleibt bis zur Ankunft drin. Kira fängt inmitten der Sargassumfelder mehrere kleinere Makrelen mit ihrer eigenen Angel! Diese kommen in eine Fischsuppe.

Und dann kommt die Flaute. Wir holen die ganze Überfahrt täglich Wetterprognosen über unser Iridium Extreme Satellitentelefon mit der PredictWind Offshore App; also kommt die Flaute nicht ganz unerwartet. Drei bis vier Tage lang soll sie dauern und wirft bereits ihren Schatten auf die Laune des Skippers. Motor anwerfen oder Segel bergen und warten. Das sind also die zwei Optionen. Wer uns kennt, weiß wie wir uns entscheiden. Geduld ist nicht unser zweiter Vorname und die Aussicht auf ein Anlegerbier, Palmen, Strand und Kokosnüsse lassen uns den Flautenschieber anwerfen. Mit 1600 Touren tuckern wir gen Paradies. Bald dröhnen uns die Ohren und speziell dem Skipper erscheinen die Flautentage endlos. Flaches, bleiernes Meer, der Duft des Auspuffs und das Lauschen auf potentiell neue Geräusche des Motors (eingebildet oder doch nicht) drücken die Stimmung. Die täglichen Routinen - Schule machen, kochen, essen, kochen, essen, wachen, schlafen - ziehen sich wie ein ausgekauter Kaugummi. Ein paar Badestops mitten im Atlantik sind jetzt die Highlights, wobei ein Teil der Badeleiter auf 4000m Tiefe auf dem Meeresboden seine letzte Ruhestätte findet. Dann endlich, nach drei Tagen kommt sie. Die heiß ersehnte leichte Brise. Mit gesetzten Segeln steigt auch gleich die Stimmung. An Barbados segeln wir an Silvester vorbei und sehen sogar das mitternächtliche Feuerwerk. Land in Sicht!

Einen Tag später segeln wir dann Richtung Port Elizabeth auf der Insel Bequia in den Grenadinen. Der Wind frischt leider erst im Kanal zwischen St. Vincent und Bequia auf und es zeichnet sich ab, dass wir nicht mehr im Tageslicht ankommen werden. Die scherzhafte Bemerkung von Silvia, dass die 4 Stunden die wir verspätet abgelegt sind, uns am Schluss noch fehlen werden, ist nun tatsächlich Realität geworden. Immerhin ist die Admirality Bay auf Bequia eine leicht zu navigierende Ansteuerung. Dennoch werfen wir die Handbremse an und segeln die letzten Meilen im Schneckentempo mit stark gereffter Genua, damit wir zumindest den Mondaufgang abwarten.

Und dann ist es soweit. Wir laufen in die Ankerbucht ein. Die unzähligen Straßenlaternen in den Hügeln der Bucht und die beleuchteten Stiegenhäuser der mehrstöckigen Häuser stellen sich bald als eine Unzahl an ankernden Booten, deren Ankerlichter und Salingsbeleuchtungen von Luxussegelyachten heraus. Wir werfen den Anker auf 6m hartem Korallensand und öffnen unser wohlverdientes Anlegerbier. 2100 Seemeilen, 19 Tage auf und ab, ein Ozean liegen hinter uns. Ein bisschen stolz sind wir schon auf uns. Vor allem auf unsere Kira, die das ganze Abenteuer fröhlich, kreativ und ohne jede Angst mit uns gemeistert hat.

Zusammenfassend kann man über unsere Überfahrt sagen, dass wir mit Wind und Welle trotz der Flaute ein gutes Zeitfenster erwischt haben. Die Überfahrt war dann letztendlich eher eine psychologische Herausforderung als eine segelerische. Beide Aspekte haben wir gut gemeistert.

Und jetzt her mit den Kokosnüssen!