Von Gibraltar bis auf die Kanarischen Inseln brauchen wir so um die 5 Tage. Das bedeutet, dass wir - um lossegeln zu können - für 5 Tage stabiles Wetter auf unserer Route brauchen. Idealerweise nicht allzuviel Welle und den Wind nicht auf die Schnauze. Nicht zu viel und auch nicht zu wenig Wind wäre auch schön. Bitte kein Regen oder gar Gewitter. Die Gezeiten zur rechten Zeit, so dass wir im Hellen die Straße von Gibraltar durchfahren können und vielleicht noch ein voller Mond, damit die Nacht nicht allzu dunkel ist. Dann aber nicht zu voll, sonst ist die Strömung in der Straße von Gibraltar wieder so stark. Eine Fußmassage wäre auch noch fein und könnte bitte jemand den Orcas sagen, dass Ruderblätter eigentlich gar nicht so gut schmecken.
Das Leben ist kein Wunschkonzert, kein Kindergeburtstag und auch sonst noch so einiges nicht. Gleich nach unserer Ankunft schließt sich ein Wetterfenster und es dauert bis zum nächsten. Wir freunden uns derweil mit so manchem Bootsnachbarn an. Bill, dem unglaublich netten US-Amerikaner auf seiner schönen Saltrum 40, der bereits in den 70ern einmal um die Kugel gesegelt ist und der so dringend nach Crew sucht, aber alle Hitchhiker wollen nur nach Westen, er aber nach Osten. Die Katamaran Gangs, die ihre schwimmenden Mehrparteienhäuser über den Atlantik schieben wollen. Chris, den Engländer, der eigentlich nur noch bis Faro segeln will, aber genauso hier festhängt. Cat, Ben und ihre Kinder Josh und Lucy, die auch ihr Abenteuer auf dem Meer suchen, jetzt aber hier wie wir am Skatepark die Abende verbringen. Wir haben Zeit, endlich die Tochterstation unserer Funkanlage ins Cockpit zu ziehen, das Pumpklo auf Vordermann zu bringen und das Panoramafenster abzudichten. So geht es hier allen am Ende der Welt, während sie sich darauf vorbereiten, über den Rand hinauszufahren.
Unsere Hoffnung, Kira eine Riesenfreude machen zu können, indem wir rechtzeitig zu den Herbstferien auf den Kanaren ankommen, wo eine ihrer liebsten Freundinnen auf Urlaub ist, schwindet mehr und mehr. So entscheiden wir uns, Silvia und Kira nach Fuerteventura zu schicken, um Urlaub vom Urlaub zu machen. El Skipperino wird derweil von einer Männergrippe niedergestreckt und passt auf Firefly auf. Alles wunderbar. Selbstredend öffnet und schließt sich genau da wieder ein Wetterfenster … weiterwarten also.
Schlußendlich hat die Großwetterlage ein Erbarmen mit uns. Nachdem eine Sturmfront nach der anderen in regelmäßigen Abständen jede Hoffnung zerstört hat, ergibt sich doch Anfang November wieder eine Chance. Endlich dürfen wir uns mit den eigentlichen Problemen wie den Strömungen in der Straße von Gibraltar, den Gezeiten, den Orcas und den marokkanischen Fischernetzen beschäftigen. In der Zeit, die wir hier in La Linea verbracht haben, sind die Orcas wieder aus dem Norden in die Straße von Gibraltar zurückgekehrt. Die Gruppen von Orcas, die mit Freude Ruderblätter von Segelyachten pflücken. Diese wunderbaren Riesen der Meere, die sich dieses unangenehme Hobby ausgesucht haben, haben in den letzten Wochen mit fünf Booten interagiert. Drei davon haben ihr Ruderblatt (oder zumindest eines davon) verloren und eine Jacht ist ganz gesunken. Free Willy! Genau.
Eine Sache scheint sicher zu sein, innerhalb von 20m Tiefe sind die Orcas nicht anzutreffen. Etliche Boote queren daher bald mal auf die marokkanische Seite der Straße und segeln küstennah zum Kap Spartel, dann weiter der Küste entlang bis Asilah und letztendlich aufs offene Meer. Problematisch dabei ist, dass die marokkanische Küstenwache Boote öfters von der Küste weiter nach draußen schickt. Dazu kommt, dass es unwahrscheinlich ist bis Asilah im Hellen zu segeln, damit ist man dem Risiko der unbeleuchteten Fischernetze ausgesetzt. Diese sind angeblich sogar zig Meilen vor der Küste auch noch zu finden. Also Orka- und Fischernetzslalom sozusagen.
Um unser Risiko zu minimieren, einen dieser Orkas zu treffen und unsere Schraube frei von Fischernetzen zu halten, werden wir also einen kleinen Umweg in Kauf nehmen und segeln deshalb erst ein stückweit innerhalb der 20m Tiefenlinie die Küste hoch, um die Hochrisikozonen soweit wie möglich zu umgehen. Eine Übernachtung in Barbate garantiert, dass wir küstennah und in der Hochrisikozone nur bei Tag am Weg sind. Bei Conil oder noch etwas weiter Richtung Cádiz wollen wir dann aufs offene Meer hinaus und mindestens 20 Meilen nach Westen segeln, danach auf Südwest bis Süd gehen. Die Information über die Hotspots und Interaktionen der Orkas ist nur deshalb verfügbar, da inzwischen ein paar dieser hyperaktiven Orkas mit Peilsendern versehen werden und damit ihre Bewegungen zum Teil nachvollziehbar werden. Auf orcas.pt werden die Informationen zusammengetragen und in Telegram-Gruppen über Routen und Verhaltensweisen diskutiert. Danke Renaud und Rui! So werden wir das also versuchen. Null Risiko gibt es aber natürlich nicht, also drückt uns bitte die Daumen.